100 Jahre Bauhaus: Berlin und darüber hinaus

Unter einem bleiernen Winterhimmel könnten die niedrigen Wohnblöcke im Berliner Hanseviertel nicht als hübsch bezeichnet werden. Erbaut in den späten 1950er Jahren, um ein Viertel wiederzubeleben, das während des Zweiten Weltkriegs dem Erdboden gleichgemacht wurde, sind sie kastenförmig und schmucklos. Die Bäume sind skelettartig, die Gärten kahl. Aber wenn ich aufschaue, sehe ich Unterhalt und Stolz. Elegante Möbel sind durch große Fenster sichtbar. Mein Blick schweift zu einem schlanken, weißen Gebäude des finnischen Architekten Alvar Aalto und dann hinunter zum Erdgeschoss und einigen einstöckigen Atriumhäusern des dänischen Designers Arne Jacobsen. In einem kühnen Säulengebäude von Oscar Niemeyer geht es ebenso um Licht und Raum wie um Wohnen.

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Im Herzen des Viertels befindet sich – physisch und symbolisch – ein konkaver „Platten“ -Wohnblock, benannt nach Walter Gropius, dem Architekten, der der Welt das Bauhaus gab, eine der einflussreichsten Kunst- und Designschulen des 20. Im Bauhaus-Manifest von 1919 erklärte er: „Lasst uns gemeinsam das neue Gebäude der Zukunft konzipieren und schaffen, das Architektur und Skulptur und Malerei in einer Einheit umfassen und eines Tages aus den Händen einer Million Arbeiter zum Himmel aufsteigen wird, wie das Kristallsymbol eines neuen Glaubens.“

Ohne das Bauhaus wäre weder der soziale Wohnungsbau im Hansestil noch die Moderne, wie wir sie kennen, entstanden.

In diesem Jahr feiern viele deutsche Regionen und Städte das hundertjährige Bestehen des Bauhauses mit Ausstellungen, Vorträgen, Performances, Workshops und sogar „Blind Dates“ für künstlerische Gespräche. Berlin wird die Drehscheibe sein, aber es gibt Bauhaus-Gebäude in ganz Deutschland und das Erbe der Bewegung reicht bis nach Chicago, Tel Aviv, São Paulo und Melbourne.

Obwohl es nur von 1919 bis 1933 dauerte, leitete das Bauhaus in diesen 14 Jahren eine wirklich moderne Denkweise über Kunst und Handwerk, den öffentlichen Raum, Urbanismus und die Vereinigung von Form und Funktion ein.

Guide und Kuratorin Bettina Güldner führt mich in die Hansestadt, um den radikalen gesellschaftlichen Wert des Bauhauses hervorzuheben. Aber sie weist auf den Einfluss von Gropius ‚Ideen in ganz Berlin hin, in Einkaufspassagen, einer Kirche, Bürogebäuden, den Gedenkstätten der Berliner Luftbrücke und sogar in meinem Hotel, dem Ellington. Berlin ist die Heimat von sechs UNESCO-Welterbestätten der Moderne. Die ADGB-Gewerkschaftsschule in Bernau, 10 km nordöstlich der Stadt, ist ebenfalls UNESCO-gelistet für ihre doppelte Bedeutung für Bauhaus und „klassische Moderne“. Sie alle teilen eine reduzierte, übersichtliche Eleganz und einen stolzen, offenen Glauben an moderne Materialien.

Außenansicht, the Ellington Hotel, Berlin
Jazz age … the Ellington Hotel, Berlin, ein regelmäßiger Treffpunkt des gleichnamigen Herzogs. Foto: Peter Delius/Alamy

Güldner erzählt mir: „Es gab keine Notwendigkeit für Verschönerung oder Überfüllung. Gebäude könnten neuer und besser sein, ohne etwas zu kopieren, was bereits gewesen war. Schönheit wurde geboren, um eine Lösung für die Frage zu finden: Was ist nützlich?“

Ein Schnellzug bringt mich nach Weimar, 280km südwestlich von Berlin. Die Gründer der Weimarer Republik trafen sich dort (auch 1919), weil die Stadt politisch so neutral war, wie es nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland möglich war. Sie hofften auf geistige Führung durch Weimars intellektuelle Geister: Zu den ehemaligen Bewohnern zählen Goethe, Schiller, Nietzsche und Liszt.

Es braucht keinen Phantasiesprung, um zu begreifen, dass das Bauhaus mindestens so revolutionär war wie der Republikanismus von 1919. Die Altstadt ist gediegen und stattlich: 12 ihrer überwiegend barocken Gebäude sind Unesco-gelistet als „Klassisches Weimar“. Weniger als 15 Gehminuten entfernt befindet sich das Haus am Horn – ein wegweisender „White Cube“, in dem 1923 die erste Bauhaus-Ausstellung stattfand. Gedrungen und flachwandig, nüchtern und eintönig, hat dieses „Testhaus“ eine eigene UNESCO-Liste.

Weimars Bauhaus-Rundweg führt von Gropius zurück zum belgischen Architekten Henry van de Velde, dessen innovative Entwürfe für die wichtigste Kunst- und Handwerksschule der Stadt (heute Universität) und das Privathaus Haus Hohe Pappeln (das Haus der Hohen Pappeln, obwohl die Bäume längst verschwunden sind) wichtige Vorläufer der Moderne waren.

Es ist möglich, wie ich es getan habe und die Stätten unabhängig zu besuchen, aber Studenten der Weimarer Universität bieten mehrmals pro Woche geführte Wanderungen (ab 4 € pro Person) an. Am 6. April eröffnet das neue Bauhaus Museum Weimar (ab 3,50 €-11€) neben den bombastischen Gauforum-Gebäuden aus der NS-Zeit.

Plakat von Joost Schmidt für die Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar
Plakat von Joost Schmidt für die Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar

Im Laufe der 1920er Jahre wurde Weimar zunehmend konservativer und 1925 verlegte Gropius das Bauhaus 130 km nordöstlich nach Dessau. Diese Stadt, in der sich die Junker-Flugzeugfabrik befand, hatte eine starke Tradition des Industriedesigns und hier erreichte die Bewegung ihren Höhepunkt. Nur einen kurzen Spaziergang vom Dessauer Hauptbahnhof entfernt befindet sich das radikal aussehende Hauptquartier der Bewegung mit Glasfront, das Bauhausgebäude. Im Auftrag der Stadt wurde es von Gropius entworfen und 1925-26 gebaut, um die verschiedenen Abteilungen einer Schule zu beherbergen, die alles von Möbeldesign über Architektur bis hin zu Typografie unterrichtete.

Der Ausstellungsraum ist klein, aber fein, mit einem stilvoll geschnittenen Stummfilm, der die Geschichte des Bauhauses erzählt und durch seine wichtigsten Innovationen und führenden Lichter führt. Die Namen von Paul Klee und Wassily Kandinsky mögen bekannt sein, aber Hannes Meyer und Laszlo Moholy-Nagy werden in Designkreisen verehrt. In einem angrenzenden Raum sind wegweisende Lichter und Möbel, und Pappe Maquettes von Gebäuden sowie abstrakte Formen. Fotografien von Theater- und Musikveranstaltungen deuten darauf hin, dass die Bauhaus-Ära voller nervöser dadaesker Spaß und Engagement für das Handwerk war.

Außenansicht das Restaurant Kornhaus am Flussufer
Rundes Haus … Das Restaurant Kornhaus wurde 1929 vom Bauhaus-Architekten Carl Fieger entworfen und liegt an der Elbe bei Dessau. Foto: Ronny Hartmann / Getty Images

Eine nahe gelegene Ansammlung von schlichten weißen Betongebäuden wird von nichts weiter als Glas und grauem Stahl belebt. Dies waren die sieben „Meisterhäuser“, die Häuser und Ateliers von Bauhauslehrern, heute Ausstellungsräume und Ateliers für arbeitende Künstler. Außerhalb der Stadt stehen Hannes Meyers fünf „Deckshäuser“ – ein wichtiges frühes Beispiel für sozialen Wohnungsbau mit Gemeinschaftsräumen. Es gibt auch ein vom Bauhaus entworfenes Restaurant, das Kornhaus, das nicht minimalistisches Pub-Essen serviert.

Der Laden am Bauhaus ist eine Freude – ein Ort, an dem es einfach ist, 100 € auf Tassen, schicke Stifte und eine künstlerische Stecknadel zu blasen. Aber Dessau bekommt noch in diesem Jahr ein neues Museum: Das Bauhaus Museum Dessau eröffnet im September und bietet viel Platz, um die über 49.000 Objekte seiner Sammlung zu zeigen. Das Bauhaus bleibt geöffnet und hat gerade einen Hotelbereich umgestaltet, in dem begeisterte Fans in zellenförmigen Etagenzimmern schlafen können (die Textilkünstlerin Anni Albers gehörte zu denen, die einst dort lebten).

Tanz in Glas, Performance von Oskar Schlemme, im neuen Bauhaus Museum Dessau.
Tanz im Glas, von Oskar Schlemme, im neuen Bauhaus Museum Dessau. Foto: Ronny Hartmann/ Getty Images

Die letzten Bilder des Stummfilms tragen den Titel The Last Party. Im September 1932 stampfen Stiefel über das utopische Sozialprojekt und es zieht nach Berlin. Unter der Regie von Ludwig Mies van der Rohe sollte es nur sieben Monate dauern. Die Hauptsammlung der Hauptstadt, das von Gropius entworfene (aber stark modifizierte) Bauhaus-Archiv im Tiergarten, wird für eine umfassende Überarbeitung geschlossen – und bleibt vier Jahre lang so. Der offizielle Grund ist: „Anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Bauhauses im Jahr 2019 wird das Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung renoviert.“ Ich schnuppere an einem sehr undeutschen Schwanz. Eine „temporäre Ausstellung“ entpuppte sich als winziger Laden in der Nähe des Bahnhofs Zoo.

Aber ich würde dieses Jahr auf jeden Fall eine Bauhaus-Tour durch Deutschland empfehlen. In Thüringen haben die Städte Erfurt, Gera und Jena architektonische Wahrzeichen. Bremen, Frankfurt, Hamburg, Magdeburg, Münster und andere Städte haben Häuser, Fabriken, Dämme, Gießereien und Garagen von Bauhaus-beeinflussten Modernisten gebaut (siehe grandtourofmodernism.com für eine interaktive Karte).

Viele Menschen gehen nach Berlin, um Würstchen zu essen, Lagerbier zu trinken und die Mauerreste zu bestaunen. Sie könnten einen Ausflug zu verwandten Ausstellungen hinzufügen, die das Leben in der DDR oder das Spionagemuseum darstellen. Das Bauhaus hingegen ist nicht nur eine vergangene Bewegung, sondern eine Kraft in der Gegenwart, die differenzierte Einblicke in das deutsche Leben und die deutsche Kunst bietet. In Kunstbüchern wird die Moderne normalerweise als wurzellos dargestellt, aber vieles, was wir heute als neu betrachten, hat seine Wurzeln in Dessau und Weimar.

„Ich glaube, das Bauhaus war ein sehr deutsches Phänomen“, sagt Bettina. „Wir waren sehr spät in der Industrialisierung. Es reagierte auf die Notwendigkeit, Handwerker umzubilden und Frankreich und das Vereinigte Königreich einzuholen. Der erste Weltkrieg hatte den Nationalismus der imperialen Art zerstört und 1919 war ein neuer Anbruch.“

• Die Reise wurde vom Deutschen Tourismusverband unterstützt. Siehe bauhaus100.de für weitere Informationen. Original Bauhaus: Die Jubiläumsausstellung läuft vom 6. Sept. bis 27.Jan. 2020 in der Berlinischen Galerie in Kreuzberg. Direkte Züge der Deutschen Bahn fahren Berlin Hbf-Dessau (ab 19,90 €); Weimar-Berlin beinhaltet normalerweise einen Umstieg in Erfurt (ab 29,90 € bahn.com); Dessau-Weimar kann 2-3 Änderungen beinhalten (ab 19,90 €)

Beyond Bauhau: Mehr modernistische Klassiker in Deutschland

Das Bauhaus ist ein Kapitel in der Geschichte der Moderne. Um Ihre Reise zu erweitern, schauen Sie sich diese Meisterwerke an

Flughafen Tempelhof, Berlin

Flughafen Berlin Tempelhof
Foto: Getty Images

Die Nazis verurteilten coole zeitgenössische Architektur als „entartet“, aber der Architekt Ernst Sagebiel, ein Parteimitglied, hatte keine Bedenken, modernistische Merkmale und monumentalistische Details zu mischen, als er dieses ikonische Gebäude flughafen-Terminal. 1936 begonnen, wurde es wegen des Krieges nie fertiggestellt, aber seine Natursteinfassade schimmert immer noch und das Innere ist erhaben und lyrisch. Tempelhof wurde während der Berliner Luftbrücke genutzt und 2008 geschlossen; Einige Abschnitte werden als Flüchtlingslager genutzt. Buchen Sie eine Tour unter thf-berlin.de (15€).

Fagus-Werk, Alfeld an der Leine

UNESCO-Welterbe Fagus-Werk

Die 1911 von Walter Gropius und Adolf Meyer erbaute Fagus-Leisten-Fabrik in Niedersachsen ist eines der frühesten Werke moderner Architektur und Gropius‘ erstes Großprojekt. Die verglaste Fassade und das „geradlinige Volumen“ des UNESCO-Weltkulturerbes inspirierten tausend britische Fabriken, ganz zu schweigen von Hochhäusern und staatlichen Schulen.

Deutsches Hygienemuseum, Dresden

Kupferstatue Kugelwerfer von 1907 vor dem Deutschen Hygienemuseum in Dresden
Foto: Josef Kubes / Getty Images

Im Februar 1945 wurden in nur drei Tagen fast 4.000 Tonnen Bomben auf Dresden abgeworfen. Das Deutsche Hygienemuseum, ein seltener Überlebender der Moderne, wurde zwischen 1927 und 1930 von Wilhelm Kreis erbaut. Der übergeordnete Stil ist neue Sachlichkeit, oder neue Sachlichkeit, mit der Betonung auf funktionale, reduzierte Merkmale, im Gegensatz zu den Exzessen des Expressionismus.

Grassi Museum, Leipzig

Der Eingang zum Museum für Angewandte Kunst, Grassi Museum, Leipzig
Der Eingang zum Grassi Museum. Foto: Alamy

Leipzig ist bekannt für seinen Renaissance- und Barockkern und andererseits für den „Platten“ -Sozialbau aus der kommunistischen Ära. Leipzig hat auch wichtige modernistische Gebäude, darunter vorstädtische Wohn- und Kirchenarchitektur der 1920er Jahre, auffällige Museumsgebäude und aufgeklärte Stadtplanung. Jede Tour muss den Grassi Museumskomplex (Kombination von Neuer Sachlichkeit mit Art Deco), den Augustusplatz (für seine Geister so viel wie das, was bleibt), Stötteritz Wohnsiedlung und Kristallpalast-inspirierte Leipziger Messe (Messe), erbaut 1993-6.

AEG Turbinenfabrik, Berlin

AEG Siemens Turbinenhalle Berlin
Foto: Alamy

Die 1908-9 nach Entwürfen des Architekten Peter Behrens und des Ingenieurs Karl Bernhard erbaute Turbinenfabrik gilt als erste gelungene Anwendung modernistischer Stilelemente in einem Industriebau. Glas und Stahl wurden anstelle von Stein und Meißeln verwendet, und nichts über seine Funktion oder Form ist der Öffentlichkeit verborgen. Zeitgenossen nannten es die „Maschinenkathedrale“.

* Siehe grandtourofmodernismus.com for more ideas

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